In manchen Ländern wird die aktive Sterbehilfe zunehmend legalisiert, durch neue Gesetze fest verankert, und so manch einer fragt sich, ob dies wohl in Ordnung ist. Sogar in Österreich dürfen wir vereinzelt damit rechnen, den Tod eines Menschen aktiv herbeizuführen, wenn es derjenige will. Umstritten ist diese heikle Angelegenheit dann, wenn jemand nicht unbedingt aus freiem Willen sterben will, die Angehörigen jedoch darauf hinarbeiten. Ist die alte Erbtante erst einmal tot, leiden die Angehörigen keine Not, es sei denn, sie hinterlässt testamentarisch ihr gesamtes Vermögen dem Tierschutzverein.
Andererseits sind aktive Sterbehilfen ideal für Menschen, die wirklich nicht mehr leben möchten, die mit einem harten Erstickungstod rechnen, die am Leben keine Freude mehr haben. Hier müssen allerdings einige Hürden in Kauf genommen werden, weil man psychiatrische und medizinische Gutachten benötigt, um überhaupt sterben zu dürfen.
Dignitas in der Schweiz ist eine gute Anlaufstelle. Man durchquert zuerst mehrere psychiatrische Begutachtungen, führt lange Gespräche, darf nicht sofort sterben, aber wenn es dann soweit ist, darf man sogar seine Lieben um sich scharren und einen letzten Kaffee mit Kuchen bestellen. Man muss allerdings in die Schweiz fahren, was für viele Schwerkranke ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Und wer sich lediglich in einer depressiven Phase befindet oder ein einschneidendes Erlebnis erfahren hat, für den könnte der Tod bitter sein, denn er weiss nicht, wieviel schönes Leben er verpasst.
Auch ich kämpfte mit dem Gedanken, sterben zu wollen, als ich erblindete und meinen Gerichtsprozess gegen das Wiener AKH verlor. Damals erkundigte ich mich bei Dignitas und bemerkte, dass ich fürs Sterben wohl nicht geeignet bin. Heute weiss ich, dass mir mein Leben noch einiges an guten Dingen gebracht hat, denn immerhin habe ich mir meinen Traum erfüllt und bewohne jetzt das Dachgeschoss meiner Wahl. Ich nenne es leidenschaftlich Penthouse. Bitte, wer oben wohnt, ist dem Himmel ohnehin viel näher.
In vielen Ländern ist die Sterbehilfe ein absolutes Tabuthema, und die Kirche schreit laut auf bei diesem Gedanken, denn was Gott in die Welt gesetzt hat, darf der Mensch nicht töten. In einigen Ländern existieren jedoch bereits politisch motivierte Gesetzesänderungen, sodass die aktive Sterbehilfe unter Umständen erlaubt ist.
Ärzte und Psychiater befürworten die Lockerungen, denn viele Leute haben sich strafbar gemacht, weil sie einem schwerst leidenden Menschen den letzten Wunsch erfüllt haben, nämlich bei der Erlösung von Schmerz und Leid behilflich zu sein. Oft haben sich Familienmitglieder strafbar gemacht, weil der Opa, die Oma derart gelitten haben, dass sie sich dies nicht mehr mitansehen konnten. Wenn jemand täglich darum bettelt, sterben zu dürfen, es jedoch aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht mehr tun kann, steht man als Nahestehender vor einer schweren Aufgabe, vor einer innerlichen Zerreissprobe. Und selbst wenn man dann diesem Menschen hilft, kann es sein, dass man psychische Probleme bekommt, weil man das Erlebte nicht verarbeiten kann. Dann will man womöglich selber sterben.
Ärzte und Mediziner sind Aussenstehende, haben also nicht diesen engen Bezug zum Sterbenden. Natürlich sagen viele Leute, die Schmerzmedizin ist heute so weit vorangeschritten, dass niemand mehr leiden muss. Aber unsere moderne Medizin ist auch so weit vorangekommen, dass niemand mehr sterben muss. Und so liegen Schwerstkranke oft jahrelang in Kliniken und werden von Geräten und PEK-Sonden am Leben gehalten.
Mein Vater erkrankte an Alzheimer, kam in ein privates Pflegeheim, wurde dort so gut versorgt, dass er zum Schluss nur noch dalag und aufs Sterben wartete. In diesem Moment kamen die Ärzte und Krankenschwestern auf meine Mutter zu und meinten, man müsste aus Durchblutungsgründen meinem Vater die Arme und Beine amputieren, aber danach könnte er an der PEK-Sonde überleben. Wir waren ratlos, denn wir wurden als Mörder dargestellt, weil wir sagten, das wollen wir nicht. Und wir hofften, das Problem möge sich von selbst in Luft auflösen. Und voila, drei Tage darauf starb mein Vater, also konnten wir uns die jahrelange Ernährung an der PEK-Sonde ersparen. Mein Vater wollte nie ans Pflegebett gefesselt werden, hatte es jedoch verabsäumt, eine Patientenverfügung zu unterzeichnen, und die Aufgabe der Medizin ist es, in so einem Fall das Leben so lange zu ermöglichen, bis die medizinischen Grenzen errreicht werden.
Die katholische Kirche ist strikt gegen die Sterbehilfe. Gott lenkt, und der Mensch denkt. Selbst der Selbstmord ist laut Kirche strafbar und hat seine Konsequenzen in der Hölle zu finden. Mein Bruder entschied sich, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, und weil Suizid in meinem Heimatdorf eine Sünde darstellte, wurden wir öffentlich an den Pranger gestellt. Der damalige Pfarrer wollte uns zuerst ein ordentliches Begräbnis im Familiengrab verwehren, und danach predigte er Sonntag für Sonntag von seiner Kanzel die Sünde des Suizides, also gingen wir nicht mehr zur Kirche. Ich glaube, das hat Gott nicht gewollt, wenn ich davon ausgehe, dass alle Menschen vor Gott gleich sind.
Anders als die Sterbehilfe, ist die Sterbebegleitung legal und auch akzeptiert. Wenn ein Mensch weiss, dass er bald sterben muss, benötigt seine Seele in den meisten Fällen eine professionelle Sterbebegleitung, denn der Mensch an sich ist nicht für die Einsamkeit, fürs Alleinsein geschaffen. Im akuten Sterbefall sitzt normalerweise die Familie am Sterbebett, hält dem Sterbenden das Händchen und begleitet ihn hinüber in eine andere Welt, in jene Welt, die wir erst verstehen, wenn wir sie selbst betreten. Es gibt allerdings einige Leute, die wollen alleine, ohne Publikum sterben. Bitte, das sollte man akzeptieren, denn die Seele ist unergründlich und sucht sich ihre Wege.
Psychologisch gesehen ist der Mensch ein Herdentier, welches sich zurückzieht, wenn es dem Ende zugeht. Auch Tiere sind in der Regel einsam, bevor sie ins jenseitige Tierreich übergehen, denn dann sehnen sie sich nicht mehr nach dem lebendigen Rudel, in welchem sie einst eine Hauptrolle spielten und vor Stärke strotzten. Und so können wir uns auch diejenigen Menschen leichter erklären, die einsam sterben wollen. Wir können es bereits Wochen und Monate vor dem Tod beobachten, wie sich der alte, schwache Mensch in sein inneres Schneckenhaus zurückzieht, denn Schwäche ist etwas, das in vielen Kulturen als negativ betrachtet wird.
Wenn wir uns den rein biologischen Aspekt des Lebensweges ansehen, so wird ein Mensch geboren und ist hilflos, bis er selbst zu leben lernt. Er ist während seines Lebens mehr oder weniger stabil, kräftig, angstlos und abenteuerlustig. Nach der Mitte des Lebens ändert sich dies oft schlagartig, wechselt in ängstliche, kraftmindernde, erlebnislose Lebensabschnitte, bis man alt und erneut hilflos ist. Wer allerdings mitten aus der aktiven, vor Energie sprudelnden Lebensquelle herausgerissen wird, ist plötzlich tot und stirbt ungeplant. So kann er sich nicht entscheiden, ob er im Kreise seiner Lieben, oder doch lieber alleine den Weg ins Jenseits antreten will, und genau hier leiden die Hinterbliebenen enorm. Ich sage, dem Toten könnte es gut gehen, wir wissen es nicht, aber unser Leben ist noch präsent, und wir sollten es mit Glück und Zufriedenheit füllen, denn eines ist sicher, der Tod kommt von ganz alleine.